
It follows (2014)
Eine Stecknadel bohrt sich in den Boden Philadelphias. An ihren Hals werden sechs Fäden geknüpft: Routen nach Rotterdam, Liverpool oder Dublin, quer durch das Mittelmeer bis nach Jerusalem, dann nach Recife, Havanna und über Port-au-Prince hinunter in den Süden. Das zweite Logo zeigt Nordlichter, die zu einem breiten N verzogen sind. Wobei man sich vorstellen musste, dass der Buchstabe nur von einem Astronauten gesehen werden konnte, der in der Thermosphäre schwebte. Hier unten im Nadelwald gab es keine Bedeutung, nur eine Ahnung, dass die Sonne lebte, während sie auf der anderen Seite war. Ein Gott der Obhut. Dann Punkte, irgendwo, irgendfarbig, sodass sich das Gehirn sofort in einem Test wähnte. Jetzt Dunkelheit, weisser Text. Dann das Bild.
Es mussten die USA sein, die man auf der breiten Strasse mit breitem Fussgängerstreifen sah, auch wenn der Film das nicht behauptete. Ein jugendliches Mädchen hastete aus ihrem Haus und rannte mit hohen Schuhen auf die Strasse. Die Dämmerung hatte begonnen. Die bewegungsaktive Wandlaterne neben der Tür liess die Nummer 1492 erscheinen. In diesem Jahr konnte das Haus nicht gebaut worden sein. Stattdessen mussten am Anfang der Strasse tausend andere Häuser stehen und noch einmal tausend in der anderen Richtung. 1492. Das Jahr, in dem Amerika vom Spanier Kolumbus entdeckt wurde, das Jahr, in dem Spanien achthundert Jahre muslimischer Geschichte beschloss. Das Jahr, in dem die Juden aus Spanien vertrieben wurden. Das Monster musste Spanier sein - oder Spanier hassen.
Die Kamera folgte dem Mädchen, war aber langsamer, sodass das Bild vorzu aus dem Fokus fiel. Eine Nachbarin bot Hilfe an, wurde zurückgewiesen und blieb am Wegesrand stehen, Papiertaschen in der Hand. Das Mädchen ging rückwärts, während sich der Zuschauer mit dem Zoom näherte. Auf der anderen Strassenseite der Vater, der ebenfalls zurückgewiesen wurde. Ein Sprint über den gegenüberliegenden Bürgersteig, der Antritt am Vater vorbei ins Haus zurück, der Vater hinterher, sie wieder raus. Das Mädchen hiess Annie und stieg ins Auto. Ihr Körper lag in Satin. Und der Hund, der bellte, weil er etwas Fremdes roch - er legte seine Stimme in die beschleunigten, elektronischen Takte. Im Auto rief der Vater an. Annie antwortete nicht, blickte nur nach hinten. Dann rief er noch einmal an und sie nahm ab und sprach, liess ihn kaum zu Wort kommen, versprach, wie sehr sie ihn und Mutter liebte und entschuldigte sich, dass sie genau so war, wie sie sein musste, um erwachsen zu werden. Dass sie sich ans Meer gesetzt hatte, um nicht mehr zu entkommen - das sagte sie ihm nicht.
Im Haus sammelten sich ein paar Teenager, während sich ein Mädchen mit schwarzem Badeanzug in den Pool begab, der, obschon von Bäumen umringt, den Blick zuliess. Ihr Körper erschien verkürzt und ihr Blick lag schmal und müde. Ohnehin schien sich alles gegenseitig zuzuschauen. Das Mädchen dem Eichhörnchen, das in den Bäumen wirkte wie ein Bär. Die Jungs dem Mädchen, wenngleich nicht unbemerkt. Die Teens den beiden Männern, die im Fernseher miteinander sprachen. «Sie sind ein kluger Mann, vielleicht sogar zu klug», sagt der Mann mit den Augen und spielte damit auf Nicolai Andreevitch an. Weil er von dessen Gehalt wusste und der Familie. Solche Männer würden alle ihre Zeit und Talente dafür benutzen, Style und Wissen anzuhäufen. So schrieb es Dostojewski.
Jay war das Mädchen aus dem Pool. Sie hatte sich mit einem Jungen verabredet, der etwas älter war als sie: Hugh. Zusammen gingen sie ins Kino. Hugh hatte kein Problem damit, auf das Sprechen zu verzichten, schien sich vielmehr gewohnt, das zu tun. Sie spielten Tauschen. Mit welchem Menschen würdest du tauschen, wenn du könntest? Der Film gab dem Jungen eine Auswahl: Ein Dutzend Personen, weiblich und männlich, fast alle im Gespräch. Hugh entschied sich für einen Fünfjährigen, der am Hinterkopf gestreichelt wurde, während er Cola trank. Dass er ihn auswählte, weil er keinen Sex haben konnte, liess er allerdings unerwähnt. Ein Plakat zeigte, dass das unvollendete Paar für den Film Charade anstand, der 1963 in den Kinos war und von einer Witwe erzählte, die von Gangstern verfolgt und von Audrey Hepburn gespielt wurde. Dass sich It follows stark an die Prämisse dieses Vorbildes anschmiegte - dass es also weder Ruhe noch Vertrauen gab - das war hübsch gemacht. Alle Werke müssen aufeinandergestapelt werden und alle Zeiten gemischt: Kolumbus, das Redford-Kino, das mitten am Tag blinkte und das Mädchen, das einen Roman las, der sie überfordern wird.
Dann wackelte es ein bisschen. Wie sollte Hugh das Essen zahlen, dass sie sich im Scheinwerfer-Diner reinpfiffen, wenn Esschon vor dem Restaurant angekommen war? Weshalb wusch der Junge mit den halblangen Haaren und dem schlaffen Muskeltonus sein Auto, obwohl es vollkommen verrostet war? Weshalb mischte man die Geschmäcker Kirsche und Cola? Kein Wunder, dass es diese Scheisse nicht ins heilige Europa geschafft hatte.
Hugh und Jay hatten Sex auf der Rückbank des Autos. Danach verliess Hugh sofort den Wagen, um etwas aus dem Kofferraum zu holen. Jay konnte gerade noch ausdrücken, dass ihr das nicht geheuer war, bevor sie mit dem Lappen betäubt wurde. Als Jay wieder erwacht war, erklärte Hugh die Prämisse des Filmes, während er mit der Taschenlampe durch das Parkhaus ging. Ein Parkhaus, das so heruntergekommen war, dass man sich fragen musste, wie es so heruntergekommen war. Die Frontalkamera hielt auf Jay, die an einem Rollstuhl festgeschnürt war. Das Bild rüttelte, als sie sich losmachen will. Und Hugh rollte sie durch die Lichtschächte zum Ende des Stockwerks, wo die Wand fehlte. Dort sah sie Es vor dem Gebäude stehen - als nackte Frau.
Paul stand auf Jay, spielte aber mit zwei anderen Mädchen Old Maid. Ein Spiel, bei welchem alle Karten in Paaren geordnet werden konnten, bis auf eine. Wer diese Karte am Schluss hatte, war der Verlierer. Hier und damals hiess diese Karte Alte Jungfer. In den europäischen Äquivalenten hiess sie Schwarzer Peter. Und wer diese Karte hatte, wurde mit Schlägen auf die Knöchel bestraft. Nach dem Schnitt ist die Nacht voller Menschen und leuchtenden Autos und obwohl Jay von allen angeschaut wird, sitzt sie draussen an einen Holzpfeiler gelehnt und legt ihre Hände auf die Knie, die aussehen wie grosse, reife Vogeleier. Der Mittelfinger ihrer rechten Hand trägt ein tätowiertes X. Ein Mal.
Die folgende Szene war wunderbar konstruiert. Während die bald aus dem Bild rutschende Lehrerin die Bibelzeilen intonierte, die Lazarus Auferstehung bezeugten, entdeckte Jay beim Blick durch das Fenster eine alte Frau mit schwarzen Fussbandagen. Sie ging langsam - und immer geradeaus. Besser noch, weil präziser: Als sie ins Bild kommt, befindet sie sich unmittelbar vor der türlosen Wand des gegenüberliegenden Gebäudes. Sie ist dort aufgetaucht, auferstanden. Sie kann nirgends hervorgekommen, nirgend hergekommen sein, weil ihr Gang direkt zu Jay führen muss. Eine Gerade, die sich zwischen zwei Studenten zwängte, die sich auf dem Rasen des Campus unterhielten. Eine alte Frau mit hartem Gesicht, der Tod so bald in der Leere ihres Blicks. Und als Jay aus dem Zimmer stürmte, sprang auch sie zwischen zwei Studentinnen durch, fast so, als wäre sie ebenfalls unsichtbar. Als wäre sie und Es gemeinsam in das Reich der Geister gestürzt, wo sie sich bloss noch gegenseitig sehen, berühren und töten konnten.
Wahrscheinlich ging es in diesem Film tatsächlich um die Zeit. Alle Menschen, die wirklich vorkamen, waren in ihrer Jugend. In diesem seltsamen Teil des Lebens, indem die Zeit das einzige Mal stimmte. Als Kind war sie zu lang, später zu kurz. Und alle Bedrohung bestand darin, dass dieser Zustand des Gleichgewichts nicht anhielt. Und dass es nicht weiterging, wurde paradoxerweise dadurch dargestellt, das Es immer weiterging, immer gleich, aber immer. Wie die Zeit. Enden und Anfänge wurden als Messungen entlarvt. Manchmal gelang es diesem messenden Auge, seine Sicht zu verfälschen, zumeist aber nicht. Und die Zeit wurde in jedem Bild dieses Films vermengt. Auf dem Spielplatz, auf dem die gross gewordenen Kinder beschlossen, mit dem Auto loszufahren. In den kaputten Schildern und leerstehenden Häusern von Detroit, das in der Zeit, in der die Geschichte spielte, eine blühende Metropole war.
Wir sehen eine Dreizimmerwohnung, die mit unzähligen Kissen und Teppichen ausgestattet ist. Die Teenager entscheiden dort, in einer bestimmten Reihenfolge miteinander zu schlafen, sodass sie das Monster alle sehen können. Damit sich das Monster dabei nicht hinterrücks anschleichen konnte, mussten sich jene Zwei gegenübersitzen, die Es bereits sehen konnten - was zwar seltsam war, aber gut in die psychotische Poesie des Filmes hineinpasste. Also: Wie organisieren? Jay vielleicht mit dem Langhaarigen, der mit Yara, sie mit Paul, Paul wieder mit Jay. Eine dunkle Erfüllung. Wie wenn man ein angehimmeltes Mädchen küsste, während es vollkommen betrunken war. Die kleine Schwester blieb übrig, weil sie kontrollieren musste, welche gehenden Menschen für alle sichtbar waren. Sie würde die Wohnung betreten und die Übertragungen rituell abhandeln, dabei eine entspannte Atmosphäre schaffen, in der die Unbeteiligten in den Kissen eines Zimmers liegen konnten, während sich zwei Andere im Nebenraum Zeit nehmen durften, um Sex zu haben. Das Vorhaben würde Zusammenhalt erzeugen. Wer einmal an der Reihe gewesen war, entkam dem Wesen nicht. Mitzumachen bedeutete also die Aufopferung der eigenen Sicherheit zugunsten des Lebens einer Freundin, vor allem aber zugunsten eines Kampfes gegen die allumfassende und unaufhörliche Bedrohung. Es bedeutete, in den Krieg zu ziehen. In der Geschichte hatten viele Menschen diese Entscheidung treffen müssen. Auch wenn sie davor in den allermeisten Fällen unter Druck gesetzt wurden, schien dieser Entschluss doch etwas, dass der menschlichen Natur nicht widersprach. Die Jugendlichen waren bereit, ihn zu treffen.
Jay wird zur Entscheidung gezwungen, ob sie den Fluch weitergeben will. Dann kommt Paul ins Bild. Mit Jay zu schlafen, ist nicht mehr nur etwas, dass er will. Es ist eine Heldentat geworden. Er zeigt ihr, dass er sie liebt, indem er sie fickt. Das war Win-Win! Andererseits schade, dass das so absurd klang. Weshalb war sowas nicht normal? Es war ohnehin bemerkenswert, wie gut der Film das metaphysische Wesen des Geschlechtsverkehrs traf. Das Ablegen der Unschuld oder vielmehr das Aufladen von Schuld durch Sex war natürlich in der Prämisse angelegt. Darüber hinaus aber suggerierte die Geschichte, dass es sich lohnte, den Fluch des Sex mit mehr Sex zu bekämpfen. Dass der Sex, genauer betrachtet, eine Erlösung verschaffte, auch wenn es nur für eine kurze Zeit sein mochte.
In der nächsten Szene wurde deutlicher, wie das Monster seinen Alltag bestritt. Die Teenager hatten auf die Orgie verzichtet, und so war es unumgänglich, dass Es Jays Rücken erreichte, ohne dass einer ihrer Freunde die Annäherung bemerkte. Im Augenblick des Angriffs wurde klar, dass das schiere Erreichen seines Opfers noch nicht dessen sofortigen Tod bedeutete. Das Wesen war auch in seinen Attacken träge. Die Kraft, die aus ihm hervortreten konnte, war allerdings übermenschlich. Paul wurde in die Luft geschleudert, als er versuchte, das unsichtbare Es mit einem Stuhl zu treffen. Die Mädchen flüchteten ins Bootshaus. Und Jay schoss durch die Tür auf das Wesen, dass die äusserliche Form von Yara eingenommen hatte. Was Jay im Übrigen nicht zögern liess, das Gewehr abzufeuern. Als sie den Hals des Wesens traf, sank es tatsächlich kurz zu Boden, stand dann aber wieder auf. Es gab also zumindest eine Schnittmenge mit der materiellen Welt. Es war kein Geist, der durch Wände gehen konnte. Es war auch nicht unverwundbar. Und es schien sich der Situation anzupassen. Dies aus praktischen Gründen, so schräg es klang. Es verwandelte sich in einen Jungen, um durch das Loch zu passen, war barfuss, wenn es den Strand betrat. Und eigentlich immer zu erkennen, weil die fliegenvolle Schwärze des Untodes in den Gesichtern stand, die es borgte.
Jay schläft dann mit Greg. Vielleicht wollte sie sich dafür entschuldigen, dass sie seinen Wagen ins Maisfeld gefahren, ihn fast erschossen oder die Tür des Bootshauses kaputtprovoziert hatte. Oder ihn dafür bestrafen, dass er noch immer nicht zu glauben schien, was sie die ganze Zeit erzählte. Dies, obwohl er sich mehrere Tage genommen hatte, um mit den anderen Teenagern durch die Gegend zu fahren. Beide Szenarien waren nicht nachvollziehbar, aber wenigstens sah man nicht, wie sie es abmachten. Sex wurde in den meisten Filmen einfach gemacht, auch hier - und das war gut so.
Dann nimmt es Greg. Ganz auf Gewalt verzichtet wird dann doch nicht, auch wenn die Filmemacher eine respektable Stunde überbrückten. Bemerkenswerter erschien, dass das Wesen es selbst nicht nur auf den Tod, sondern tatsächlich auch auf den Sex abgesehen hatte. Und es war richtig geschickt darin, seinen Teil vom Schnitzel zu kriegen. Es brach als Greg in Gregs Haus ein und klopfte als seine Mutter an die Tür. Ihr Bademantel war geöffnet, als sie auf ihn springt und ihn reitet, sich an seinem Körper reibt und ihn gespannt hält, obwohl er bereits tot war. Das war wunderbar gemacht. Das Monster musste teilweise hunderte Kilometer laufen und wenn es da war, auf den letzten Metern sozusagen, da passierte nichts, kein Endspurt, keine Erleichterung, kein Bremsen. Es schritt einfach zur Tat. Es war dreihundert Kilometer gelaufen und versuchte dann sofort, die Tür aufzubrechen. Das war schon herrlich scary.
Gegen Ende des Filmes zerfaserte die Logik. Jay brachte wissentlich drei Typen auf einem Boot um, wo ein einziges Opfer angesichts aller Angst und Ausweglosigkeit schon mehr als zweifelhaft gewesen wäre. Dann stand Es plötzlich auf einem Dach. Stand dort und ging nicht weiter. Als Ausgleich kickte der Soundtrack nun richtig rein. Alles wurde ausgepackt, was musikalisch Schritte darstellen konnte. Wie ein Mann, der tanzte, während er einer geraden Linie entlangging.
Es folgte das Finale im Schwimmbad. Das Spiel des Wassers an den Wänden, das Halblicht. Grosse Mengen gegenwärtiger Elektronik, die heute alt und schön geworden sind, im Kreise um das Becken aufgereiht. Damit wollten sie das Monster elektroschocken. Der hübsche Zirkelschluss, als Jay mit ihrem schwarzen Badekleid in das Wasser stieg, langsam und bedächtig. Langes Warten ohne Gespräch. Alle Aufmerksamkeit auf ein badendes Mädchen zurückgeworfen, dass in die Leere zeigen musste.
Es trug den Körper ihres Vaters. Doch anstatt mit blinder Wut in das Becken zu tauchen, begann Es, die Radios und Fernseher in Jays Richtung zu treten, und zwar mit gigantischer Wucht. Doch es kam nicht zum Elektroschock. Jay starb nicht so, wie das Monster sterben sollte. Schüsse, zwei in den Kopf des Wesens. Das Bassin füllte sich mit Blut.
Zuletzt fand Jay doch noch zu Paul. Irgendetwas hatte ihr gesagt, dass das jetzt ging. Und Yara las noch einmal aus Dostojewski vor, während sie im Krankenhaus ihren Beinschuss kurierte, den sie sich während des Kampfes zugezogen hatte: «Bei der Folter gibt es Schmerz.» Und dieser Schmerz, der aus oder in die Wunden trieft, übertüncht alle seelische Pein. Aber dieser seelische Schmerz ist dennoch schlimmer. Es ist die Gewissheit, dass in einer Stunde, in zehn Minuten, in einer halben Minute, jetzt die Seele den Körper verlässt und man aufhört, ein Mensch zu sein. Die Gewissheit, dass das geschehen wird, sei das Fürchterlichste. Wir fürchten, dass etwas geschehen wird, dass wir vorhersehen können. Wir fürchten die Gewissheit.